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Nächtliche Sammlung
Die Anziehungskraft erleuchteter Fenster bei Nacht ist ein beliebtes Thema der Flanerie: Wer in der Dunkelheit Straßen und Städte durchstreift, dem werden die verstreuten Licht feider zu Projektionsflächen des Privaten und Intimen. Und doch hat
der warme Fensterschein der Lampe - Gaston Bachelard spricht vom sehenden "Auge des Hauses" längst kalte Konkurrenz bekommen: Denn nicht nur die bunten Leuchtreklamen, die illuminierten Logos und Architekturen, auch das blaue Fernsehlicht, das flackernd aus den Wohnungen nach außen dringt, hat allerorts vom Nachtbild der Städte und Siedlungen Besitz ergriffen.
In diese an Emotionen und optischen Signalen reiche Gemengelage hinein installiert Nikola Hamacher ihre "Nachtgalerie" ,
der ausgewählte Meisterwerke abendländischer Malerei zu Grunde liegen.
Standorte ihrer Aktion im Hansaviertel Münsters sind sieben teils leerstehende Ladenlokale, deren Fenster mit Einbruch der Dunkelheit zu großformatigen Schauflächen werden, indem die Künstlerin das vornehme Material von innen auf die Scheiben projiziert. Leonardos "Cecilia Gallerani", besser bekannt als "Dame mit dem Hermelin", Velazquez' "Selbstbildnis" oder Hans Holbeins Bildnis des Erasmus von Rotterdam - sie leuchten, stark vergrößert und passgenau, aus dem dunklen Innenraum
hinaus auf die nächtliche Straße und verbinden sich so zu einem musealen Parcours in fußläufiger Nachbarschaft.
Die Würde der edlen kostbaren Farbigkeit, die durch das Projektionslicht nochmals an Wärme und Strahlkraft gewinnt: Es sind diese Im pulse, die den streunenden Blick des Passanten unvermittelt auf sich ziehen. Wie das Personal einer anderen, schon vergessenen Zeit stehen uns die Porträtierten gegen über, um uns für Augenblicke aus der Profanität der urbanen Szenerie herauszuheben. Was sonst nur in den nobelsten Museen der Welt oder reproduziert in Büchern und Katalo gen zugänglich ist, wird hier zum unverhofften Dialog mit der Wirkmacht der Kunst, ihrem Sinn und Geheimnis. Bewusst hat Nikola Hamacher solche Bilder ausgewählt, die zu den Spitzenwerken der Kunstgeschichte seit Beginn der Neuzeit gehören; Gemälde also von großer und größter Popularität, die im kollektiven Kunstwissen fraglos einen festen Platz behaupten. Und natürlich lässt sich ihre "Nacht galerie" auch dahingehend deuten, dass es der Künstlerin um Prozesse kultureller Demokratisierung geht, wenn sie das kostbare Allgemeingut auf die Straße zurückträgt. Mehr noch aber ist es ihr an der persönlichen Begegnung von Bild und Betrachter gelegen, irgendwo zwischen Kiosk, Kneipe und Nachttankstelle, draußen, bei Wind und Wetter, an alltäglichen, ungeschützten Orten - ein Uberraschungsmoment, der ein Innehalten evoziert, eine unverhoffte Sammlung des Blicks, vis-a-vis mit den strahlenden Bildfiguren, die ihrerseits das nächtliche Treiben, den Strom der Autos und Fußgänger, fest und ruhig zu observieren scheinen. Stefan Rasche, 2004
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Fremde Blicke
Das Schaufenster, auf das wir zufahren, braucht das Licht der Scheinwerfer eigentlich nicht. Von allein leuchtet es hellauf in der unwirtlichen Finsternis, die frösteln macht und gibt ein Bild frei - ein Bild. Wie mit einer Flaschenpost aus dem Meer der Zeit ins Schaufenster am Rand der Soesterstraße gespült, steht da im Fensterrahmen eine junge Frau. Ihr eng anliegendes rötliches Haar, unter dem Kinn mit ein paar Strähnen zusammengebunden, sieht aus wie eine Haube. Das ovale, schmale Gesicht tritt aus dem umgebenden Dunkel leuchtend hervor. Hell schimmern die nackten Schultern. Perlenketten, lang fallend, schmücken das Dekolleté. Die feingliedrigen Hände halten behutsam und schützend einen Hermelin, selbstvergessen, in sich gekehrt, der in irgendeine Ferne schweifende Blick der Frau. Das Bild, das da vor uns auftaucht, ist die Projektion des Ausschnitts der
"Dame mit dem Hermelin", von Leonardo da Vinci im Jahre 1485 in Tempera auf Holz gemalt, gebannt. Im Abstand der Jahrhunderte wirkt das Bild hineinkatapultiert in unsere Gegenwart.
Die "Nachtgalerie", die Nikola Hamacher im Dreieck zwischen Hansaring, Bremer Straße und Wolbecker Straße als Overheadprojektion eingerichtet hat, führt sieben erlesene Portraitgemälde alter Meister vor Augen, hebt die Bilder aus dem Dunkel der Nacht. Unvermutet begegnen sie uns, begegnen wir ihnen, begegnen wir uns. Vor Jahrhunderten einmal mit Pinsel und Farbe auf Leinwand oder Holz ins Bild gebracht, gewinnen diese Menschen aus abgelebten Zeiten in ihren Schaufenster-rahmen Kontur auf dem Hintergrund der Mauern der hochstöckigen Wohnhäuser, Bildbotschaften der bereits lichtlos daliegenden Fenster der Wohnblocks. Fasziniert vom Ausdruck der Gesichter und der Haltung dieser Menschen, die vor Jahrhunderten einmal gelebt haben, hat Nikola Hamacher die Ausschnitte aus den Gemälden für ihre Nachtgalerie ausgewählt. "Erasmus von Rotterdam", 1523 portraitiert von Hans Holbein, Öl auf Holz, zeigt sich in einem Schaufenster an der Ecke Schillerstraße und Bremer Platz, reproduziert als lichtprojektion: ein Mann im Profil, dargestellt im "Kostüm" der Gelehrten seiner Zeit, dem 16. Jahrhundert. Sein nachdenklicher Blick ist auf die das Bild dominierenden, schreibenden Hände gerichtet, die, geschmückt mit kostbaren Ringen, einen Federkiel übers Papier führen. Dann, eine Straßenecke weiter, erscheint plötzlich das 1650 entstandene "Selbstportrait" von Diego Velasquez, Öl auf Leinwand, im Original 45 x 38 cm, projiziert ins Schaufenster eines Geschäftes an der Soester / Hamburger Straße. Zwischen parkenden Autos trifft den Passanten der skeptische, auch fragende Blick des Malers. Ganz anders die Projektionen der Gemälde Anthony Van Dycks aus dem 17. Jahrhundert, das "Bildnis zweier Hofdamen", die kokett - ja zickig - aus dem Bild blicken oder ein Detail aus dem Bildnis der Frau von Philippe Le Roy, dem "ungesetzlichen" Enkel eines erfolgreichen Schießpulverproduzenten, der einst berühmten "Maria de Raet", deren Blick den Vorübergehenden herauszufordern scheint, oder das Portraitgemälde von Moretto da Brescia "Junger Mann im Pelz", dessen Blick durch den Betrachter hindurchzugehen / am Betrachter vor beizugehen scheint, schließlich die Projektion des Portraits der" Maria von Österreich", von Velasquez in selbstbewusster Haltung, den Betrachter offen, wohlwollend, fröhlich anblickend ins Bild gesetzt.
Es sind die Blicke, die Haltung, auch die "Kostümierung" der von alten Meistern portraitierten und nun in die Schaufenster des Hansaviertels projizierten Menschenbilder vergangener Zeiten, die auch dem flüchtigsten Passanten in die Augen fallen, ihn aufmerken lassen, der an diesen Orten, den Schaufenstern, Auslagen, Artikel aller Art, auch Werbung zu sehen gewohnt ist und der nun nächtens etwas ganz anderes und am Tage bloß milchig weiße Scheiben wahrnimmt.
Was aber sehen wir? Die berühmten Bilder, die in den Museen der Welt im Original zu sehen sind, sehen wir nicht.
Durch die Installation von Nikola Hamacher ist etwas Neues entstanden: Die Materialität des Farbauftrags der alten Ölgemälde erscheint transformiert in die Im materialität von farbigem Licht. Als neue, eigenständige Bilder sind die Ausschnitte, farbig leuchtend, von der Dunkelheit abgehoben, fokussiert; die Dunkelheit hält das Auge fest, führt den Blick, der über das projizierte Bild gleitet, dessen Fremdheit, ja Isoliertheit durch die Dunkelheit bekräftigt wird.
Die Technik der Installation bleibt dem Betrachter nicht verborgen. Die Overheadprojektoren, mit denen Nikola Hamacher arbeitet, sind im Geschäftsraum durch Seitenfenster und -türen zu sehen. Von den aufgelegten Bildfolien werden die Ausschnitte projiziert, die sich beim tageweisen Auswechseln zwischen den Geschäften je nach Fensterformat verkleinern oder vergrößern. Wie rezipieren wir diese, von Nikola Hamacher in ihrer "Nachtgalerie" versammelten Reproduktionen?
Wie unterscheidet sich die Rezeption der hier projizierten Bildausschnitte von der Rezeption der Originalgemälde, denen wir im Museum begegnen? Jedenfalls erwartet die "Nachtgalerie" den Passanten, der durch die Straßen streifend, Eindrücke, vielleicht von ephemerer Flüchtigkeit, vielleicht von großer Intensität sammelt und sammelt und wieder verliert - oder sie in der Erinnerung mitnimmt, die fremden Blicke.
Dr. Ursula Franke, 2004
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Freigehege, Galerie FB 69, Münster
Zielsicheren Schrittes eilen sie auf den Bildrand zu: einzelne Passanten, die auf einem Boulevard ihrer Arbeit, ihrem Feierabend oder einer Erledigung entgegenstreben. Ihre Gesichter sind kaum zu erkennen, selbst ihre Größe und Breite - ihre Figur – nur ungefähr zu erahnen, denn die Kamera erfasst sie aus der Vogelperspektive, weit genug entfernt, um ihre Persönlichkeit beinahe objekthaft wahrzunehmen. Plötzlich schiebt sich, völlig unvermittelt, ein ungeheurer, dreieckiger Fisch ins Bild, wie ein Köder scheinen die Leute ihm direkt ins Maul zu laufen – und passieren sich Mensch und Tier in paradiesischer Seelenruhe. In den Arbeiten der Künstlerin Nikola Hamacher ist nichts so, wie es den Anschein hat, werden Alltag und Alltagssituationen ihrer Beiläufigkeit enthoben, indem Wirklichkeiten sich über-, und durchkreuzen, Fassaden fallen, und Banalitäten sich ihrer Banalität entledigen. Die Ausstellung „Freigehege“ in der „Galerie FB 69“ von Kolja Steinrötter zeigt Bilder, Videos und Objekte, die jenseits des kalkuliert Spektakulären und greller und spekulativer Überbietungsrhetorik sich (der Sache an sich) zuwenden und denen so äußerste Konzentration gelingt. Während in einem Fernseher Karnevalswagen und Musikertruppen vorüberziehen,
sind auf kleinen, quadratischen Leuchtkästen ernste Gesichter zu sehen, Augenblicks-Porträts des gleichen Umzuges, denen es sichtlich Spaß und Sprache erschlagen hat. Im unscheinbaren Detail des Einzelnen erscheint das Scheinhafte des Ganzen gegenwärtig, ohne jedoch dem Betrachter eine kritische Distanz aufzuzwingen. Im Video „Der Fensterputzer“ hantiert ein Virtuosen alltäglicher Arbeit leichthändig mit Abzieher und Lappen, die ungewöhnliche Perspektive erweckt der Eindruck,
er stehe senkrecht auf der Scheibe. Tatsächlich gleicht er einem Maler, der mit den perfekten Kurven seiner Schaumschlieren
die eben noch unverstellte, klare Wirklichkeit hinter ihm - Bäume und Blätter - übermalt. Ein Raum ist einem Rondell reserviert, dessen Innenraum ein altes italienisches Dorf in seiner natürlichen Umgebung zeigt, Berge im Hintergrund, eine alte Kirche,
ein noch älteres Fußballfeld, ein bizarres Kunstobjekt. Nichts ist hier außergewöhnlich, und doch vermittelt sich in den Farben, dem geschlossenen Kreis, der unwirklichen Ruhe der Fotografie das Dorf als Weltpanorama.
Der Mensch, die Tiere: sie leben in Freigehegen, die eine künstlerische Fantasie ihnen überlassen hat, deren Komplexität zugleich auf der Fähigkeit zu vieldeutiger Klarheit beruht.
Dr. Günter Moseler, 2008/9
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Häuser, Bilder, Fenster 2010, Münster
zur Projektion Fensterputzer
Nikola Hamacher macht aus ihrem Schaufenster eine Fensterschau, denn „Fenster“ ist das Thema ihrer Video-Arbeit, genauer gesagt: ein Fensterputzer bei der Arbeit. Dabei geht es ihr nicht um die soziale Komponente von Arbeiten im Niedriglohnsektor im Allgemeinen oder ein Denkmal für den unbekannten Fensterputzer im Besonderen. Es zeugt vielmehr von künstlerischer Konsequenz, sofern man weiß, dass Hamacher schon ganze Ausstellungen mit Projektionen stiller und bewegter Bilder in Fenstern bestritten hat, derart Privatwohnungen und Geschäftsräume in riesenhafte Leuchtkästen verwandelnd. Ungewöhnlich sind die Perspektiven, die die Künstlerin uns hier bietet. Denn auch wenn uns das Gezeigte zunächst allzu alltäglich vorkommen mag, um bemerkenswert zu sein, finden hier doch etliche Verschiebungen statt, die allesamt Überlegungen über den Blick anzustoßen vermögen. Da ist zunächst die enorme Vergrößerung, die uns im Zeitalter von Multiplex-Kinos kaum noch der Rede wert scheint – und natürlich auch eine Frage der Distanz ist. Daran schließt sich die Umkehrung der Perspektive an, denn wir sehen von außen in einen geschlossenen Raum, blicken aber im Film von drinnen nach draußen und selbstverständlich sehen wir nachts eine in hellem Tageslicht sich abspielende Szene. Durch all diese Verfremdungen gewinnt das scheinbar Banale plötzlich unser Interesse. Gesteigert wird dieser Verfremdungseffekt noch dadurch, dass hier nicht, wie es zu erwarten wäre, frontal geputzt wird, sondern, aus Sicht der Kamera, über unseren Köpfen. Denn die Künstlerin hat das Fensterputzen durch ein schräg geneigtes Dachfenster gefilmt.
Nikola Hamacher ist dabei weniger an filmischen Fragestellungen interessiert – ihr Video ist vor allem malerisch gedacht: Dreimal hintereinander, in wechselnden Fensterausschnitten, sieht man grünende Bäume und ein Stück vom Himmel.
Außerdem, je nach Sonnenstand, deutlich oder nur scherenschnitthaft den Fensterputzer von den Füßen aufwärts, sozusagen mit den Sohlen in unserem Gesicht. Und wie dann Himmelsblau und Laubgrün allmählich verschwinden unter einer dicken Schicht blasigen Seifenwassers. Das ruhige Tempo und die routiniert fließenden Bewegungen des Putzmannes schließen eineAssoziation an action-painting aus. Aber an große, gestische Pinselschwünge auf einer Leinwand erinnert schon, was sich da zwischen uns und den Fensterausblick schiebt. Alles verunklärt sich, Raum und Formen verschwinden, was bleibt ist eine einzige Fläche mit schwungvollen Mustern in Seifenschaumgrau. Bevor der nächste Wisch- und Waschgang uns wieder Klarsicht verschafft. Insofern ist Hamachers Fensterbild ganz und gar emblematisch zu deuten.
Dr. Stephan Trescher, 2010
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